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Dieses Bild ist von einer unserer Lehrerinnen, Beth Kirchner, bei ihrer Abreise aufgenommen worden. Kannst du uns am Pier angedockt sehen?

Reif für die Insel

Hallo, ihr Lieben!

Ein update von der Africa Mercy ist mal wieder längst überfällig. Das Schreiben fällt mir ja sowieso manchmal etwas schwer, aber umso mehr in diesen Zeiten, wo unser Dienst ganz anders aussieht. Wie die meisten von euch aus persönlichen Nachrichten wissen, mussten wir Mitte März unseren Einsatz kurzfristig abbrechen und mit unserem Schiff aus Senegal abreisen.

Diese Entscheidung wurde schweren Herzens getroffen, aber es war die einzig richtige Entscheidung, da das Fortführen unserer Operationen die Sicherheit unserer Patienten, Angehörigen und unserer Day Crew mehr gefährdet als ihnen gedient hätte. Auf die Frage hin, warum wir nicht stattdessen “Corona Hilfe” geleistet hätten, gibt es eine relativ einfache Antwort, wenn auch die Hintergründe doch noch viel komplexer sind.

Diarga nach der Operation auf einer unserer Stationen

Kurzum ist unser Spital auf elektive, oftmals lebensrettende chirurgische Eingriffe spezialisiert. Wir haben nur eine sehr kleine Anzahl an Intensivbetten und Beatmungsplätzen und unsere Patienten sind alle sehr dicht beisammen auf den Stationen. Wie man auf dem Bild oben sieht, stehen die Betten eng zusammen und die Angehörigen / Betreuungspersonen unserer Patienten schlafen unter den Patientenbetten auf Matratzen. Die Räume an Bord sind zudem schlecht belüftet und Luft wird zirkuliert, bevor sie erneuert wird. Das bedeutet, dass ein Schiff grundsätzliche eine denkbar ungünstige Umgebung ist für dieses Szenario und wir auch keine Corona Patienten hätten behandeln können. Sicher habt ihr auch von anderen Schiffen gehört (vor allem Kreuzfahrtschiffen und auch einem militärischen Krankenhausschiff), die aufgezeigt haben, dass das Virus an Bord eines Schiffes sehr schwierig einzudämmen ist.

Mercy Ships ist aber in der Corona Situation nicht tatenlos – wir helfen aus mit regelmässigen Hilfsgüterspenden und Präventionstrainings in den Westafrikanischen Ländern, mit denen wir bereits Beziehungen pflegen.
Mehr Infos dazu gibt es hier auf der Mercy Ships Deutschland Website (& häufig gestellte Fragen).

Bevor wir aus Senegal abreisen konnten, haben wir zunächst die Weiterversorgung unserer Patienten organisiert, denn einige Patienten benötigten noch Physiotherapie, Reha, Laborkontrollen und Verbandwechsel. An fünf Patienten mussten wir noch eine weitere Operation vornehmen, um sie überhaupt zurück lassen zu können (es waren komplexe Operationen, die mehrere Eingriffe brauchten, um die Patienten auf die Beine zu stellen und sie hatten bereits die erste OP hinter sich). Durch die enge Zusammenarbeit mit anderen Hilfsorganisationen vor Ort und der senegalesischen Regierung, konnten wir nach etwa zwei Wochen unsere letzen Patienten übergeben.

Gleichzeitig versuchten viele Mitarbeiter, nach Hause zu ihren Familien zu kommen, da sehr ungewiss war, wie es für uns als Besatzung weiter gehen würde. Die Patienten mussten versorgt werden mir minimaler Besatzung, das komplette Schiff musste aber gleichzeitig abreisefertig gemacht werden. Normalerweise benötigen wir 21 Tage, um ein leeres Krankenhaus mit voller Besatzung einzupacken. Wir haben es mit knapp der hälfte der Besatzung und noch Patienten im Spital in 10 Tagen geschafft. Zu sagen, dass dies eine Logistische Herausforderung war, wäre eine massive Untertreibung. 

Alle packen mit an beim Einpacken

Zusätzlich zu der physischen Belastung war es eine sehr emotionale Zeit, da es so viele unerwartete, völlig überstürzte Abschiede gab. Und es gab die Situationen, in denen es keine Abschiede geben konnte, verursacht durch die plötzlich in Kraft tretende Ausgangssperre. Einige Besatzungsmitglieder mussten aus medizinischen Gründen nach Hause reisen, die bleiben wollten. Andere wollten zu ihren Familien reisen und mussten zusehen, wie von einem Tag zum anderen ein Flug nach dem anderen gestrichen war, bis zu dem Tag, an dem der Flughafen in Senegal geschlossen wurde und klar war, dass es keinen Flug mehr geben würde. Immer mal wieder tauchte dann doch plötzlich noch ein Repatriierungsflug auf und es mussten holterdipolter alle Habseligkeiten gepackt werden und Leute sind, manchmal nur mit wenigen Stunden Vorlauf, zum Flughafen gefahren, um doch noch irgendwie heim zu kommen. 

Es fühlte sich an, als würde einem das Herz zerreissen. Das Herz zerreissen, weil man sich um die frischoperierten Patienten sorgt, die wir nun zurücklassen mussten. Das Herz zerreissen, weil man seinen Day Crew, mit denen man 8 Monate eng zusammen gearbeitet hat und die nicht zum Schiff gekommen sind, nicht auf Wiedersehen sagen konnte – wie auch vielen anderen neu gewonnenen Freunden im Land. Das Herz zerreissen, weil gute Freunde und Schiffskameraden plötzlich weg sind. Einfach so, total ungeplant. Ohne die Gelegenheit, noch eine Stunde gemeinsam zu verbringen, weil alle auf Hochtouren funktionieren. Mit der Ungewissheit, ob man sich je wiedersehen würde oder wann.

Von einer Krisensitzung zur nächsten, schwierige Entscheidungen treffen, minimum 14 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche funktionieren – durchhalten. Was für eine Zeit …  ABER … Der Herr hat uns so spürbar durch das Tal der Tränen durchgetragen. Lange war nicht klar, was mit uns geschehen würde, wenn wir unsere Patienten erfolgreich entlassen haben. Wo würden wir hin fahren mit unserem Schiff? Sicher war nur, dass wir nicht ohne Ziel ablegen würden, da dies viel zu riskant wäre. Aber …. Gott ist gross und Er hat Wunder gewirkt, rechts und links – wir haben Organisationen gefunden, passende Lösungen für alle unsere Patienten gefunden. Die letze Operation an einem Samstag ist perfekt verlaufen und ich hatte das Privileg, als Anästhesieschwester an der OP teilzuhaben. Wir haben Kraft und Mut gefunden für jeden einzelnen Tag. 


Und – der Herr hatte auch eine Lösung für uns als Crew. Während viele Schiffe heute noch auf den Ozeanen treiben und keinen Hafen finden, der sie beheimaten will, haben wir einen sicheren Hafen (wortwörtlich) gefunden. Drei Tage nach der Entlassung unserer letzen Patienten haben wir in Dakar abgelegt und durften in Granadilla, Teneriffa, anlegen. Was für ein Geschenk Gottes!

Anfang April habe ich folgendes in mein “Logbuch” geschrieben:
“Nun liegen wir hier am Pier, wir sind alle auf dem Schiff, niemand darf das Land betreten. Spanien ist momentan im “Lockdown”, das heisst alle müssen zu Hause bleiben. Zeit zum Durchatmen. Unser Schiff ist noch für mehrere Wochen in Quarantäne. Zeit zum Reflektieren. Zeit, um die Wunder zu sehen, die Gott gewirkt hat. Zeit, um Wunden heilen zu lassen. Zeit um Beziehungen zu pflegen, um mit denen in Kontakt zu sein, die gehen mussten oder wollten. Die meisten Menschen haben in diesen Tagen keine Möglichkeit, um Gemeinschaft zu pflegen.
Wir sind uns bewusst, was für ein Riesen Geschenk es ist, dass wir mit unserem 239-Mann übrig gebliebenen Haufen diese Zeit gemeinsam verbringen können. Das Internet ist sehr langsam und wir haben somit Zeit für echte Gemeinschaft, Brettspiele, unsere eigene Bibliothek zu besuchen, Gottesdienste und Anbetunszeiten hier an Bord zu haben. Uns von ganzem Herzen auf Ostern auszurichten und vorzubereiten. Ihn zu suchen. Was für ein Privileg! Gott ist gut, alle Zeit. Zudem sind wir momentan alle gesund auf dem Schiff und es gibt keine bestätigten Fälle – noch ein wahres Wunder!

Es gibt natürlich noch ganz viel Arbeit zum Aufholen, viel Dokumentation ist liegen geblieben und wir wollen natürlich unseren Einsatz trotzdem mit Exzellenz abschliessen. Da gibt es noch viele Berichte zu schreiben. Jeder packt mit an, wo Not am Mann ist, egal ob in der Kombüse, im Speisesaal oder im Reinigungsdienst. Einen Schritt nach dem anderen, Tag für Tag, Schritt für Schritt. Erstmal tief durchatmen!”

Nun sind wir mittlerweile 134 Tage in Granadilla de Tenerife auf dem Schiff ohne Landgang. Glücklicherweise dürfen wir mittlerweile auf dem Betonpier spazieren gehen, so dass wir ab und zu festen Boden unter den Füssen haben. 120 Besatzungsmitglieder sind momentan an Bord, wir haben auch ein paar frische Gesichter dazubekommen, die Werftperiode hat offiziell begonnen, es gibt viel zu tun und wir bereiten uns auch langsam aber sicher auf unseren nächsten Einsatz vor. Dank Corona müssen wir natürlich besondere Sicherheitsvorkehrungen treffen und das ist etwas knifflig.

Ruben und ich feiern am 28. Juli unser 2-jähriges Hochzeitsjubiläum. Unglaublich, was für zwei wunder-volle Jahre das waren, und wie unglaublich schnell die Zeit vergeht! Unsere Herzen sind voll von Dankbarkeit und wir blicken hoffnungsvoll und freudig in die Zukunft!

Achtung – es folgt eine schnulzige Bildersammlung … 🙂

Ruben und ich haben Urlaub eingereicht vom 05. September – 10. Oktober, da unser Besuch in der Heimat im April ja ins Wasser gefallen ist. Wir hoffen sehr, einige von euch während dieser Zeit zu sehen und würden uns freuen, wenn ihr uns sehen wollt!
Realistischerweise hängt unsere Bewegungsfreiheit natürlich von den Fallzahlen ab, von daher helft bitte mit, diese niedrig zu halten, damit es nicht (wieder) einen Lockdown gibt. 🙂

Was wir sonst noch so alles seit unserer Ankunft in Granadilla erlebt und gemacht haben, wie die Werftperiode vorangeht und wie unser Alltag so aussieht, berichte ich demnächst in einem separaten Logbuch Eintrag – ich habe mir überlegt, diesen Blog so zu benennen und auch zu behandeln – also hoffentlich häufigere und kürzere Einträge, mal sehen wie das klappt!

Als Gebetsanliegen freuen wir uns, wenn ihr mit betet für niedrige Corona Fallzahlen, die Entwicklung eines Impfstoffes und Medikamenten / Behandlungsmöglichkeiten, damit wir bald aus der Krise und zurück in den Dienst nach Afrika können.

Die Stimmung an Bord ist sehr gut und die Gemeinschaft hält zusammen, allerdings haben sehr viele im Moment mit grossen Verlusten zu kämpfen und viele haben schlimme Nachrichten von ihren Familien bekommen (Vater/Mutter gestorben, Krebsdiagnosen der Geschwister, Familienmitglieder im Krankenhaus und so weiter). Es scheint gerade ein echter Angriff stattzufinden auf unsere Gemeinschaft und ich kenne fast niemanden von unseren 120 Mann, der nicht von einer solchen Nachricht betroffen ist.

Viele unserer Westafrikanischen Crewmitglieder wünschen sich auch, nach Hause zu ihren Familien reisen zu können, aber dies ist momentan meist nicht möglich wegen Reisebestimmungen. Auch hier ist Gebetsunterstützung herzlich willkommen. So banal es auch klingt, würden wir uns auch wünschen, bald Landgang zu bekommen für unsere gesamte Crew, da einem auf dem Schiff trotz aller Annehmlichkeiten die Decke auf den Kopf fällt nach einer so langen und intensiven Zeit.
Ich werde diesen Abschnitt auch in die “Gebetsanliegen” Seite einfügen.

Wir sind dankbar, dass wir alle gesund und munter sind und dass wir in Gemeinschaft sein können in diesen Tagen.
Hoffentlich bis ganz bald!

Seid gesegnet und bleibt gesund,
Silke und Ruben